Donnerstag, 17. Dezember 2009

Kapitel 3 - Teil 1: Einblicke ins Gesundheitssystem

"Als Max Stammnitz eines Novembermorgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er seinen Ruecken in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt." Nicht nur der rot-gepunktete Ruecken, auch die Rueckseite meiner Beine hatte sich unter starkem Juckreiz dem Muster meines Tour de France - Bergtrikots angepasst. Auch meiner deutschen Projektpartnerin Dilan machten schon laenger eiternde Pusteln an den Fuessen zu schaffen, so dass wir uns genoetigt sahen, nun einen Dermatologen aufzusuchen. Auf Rat einer Medizinerin, welche oefters in Terra Mirim zu Besuch ist, wendeten wir uns an einen Hautarzt in Salvador und bekamen auch prompt einen Termin fuer den Folgetag.

Das Verkehrschaos des morgendlichen Salvadors konnte uns an diesem Tag nicht viel anhaben, abgesehen von der Tatsache, dass uns der Bus auf der falschen Seite der sechsspurigen Strasse ohne Ampel aussteigen liess - die zum Ueberqueren notwendigen Kenntnisse konnten uns bisher weder die Capoeiraausbildung, noch der intensive Wunsch nach Wellensurftraining vermitteln. Trotz staendiger Sichtweite des Krankenhauses, betraten wir dieses deshalb mit Verspaetung. Bereits im Eingangsbereich nahmen wir jedoch wahr, dass dieses Hochhauskrankenhaus eher das Wort (Luxus-)"Hotel" verdient haette. Bewachte Parkplaetze, perfekt geschnittene Hecken und ein Springbrunnen vor dem blankgeputzten glaesernen Eingangsportal und das alles inmitten der stinkenden, lauten Millionenstadt - mit Panorama-Blick auf die riesigen Armenviertel ("Favelas"). Dieser wahnsinnige Kontrast bestaetigte sich kurz darauf noch eindrucksvoller, als sich unsere Fahrstuhltuer oeffnete und ein adrett-gekleideter Fahrstuhlfahrer uns netter Weise seine Dienste anbot.

In der wohlklimatisierten, mit Flachbildfernseher ausgestatteten Praxis des Dermatologen Dr. Martins angekommen, wurden wir freundlich von der Sekretaerin begruesst. Als zahlungsfaehiger Europaeer durfte man sich bereits im Vorraus einer 200 Reais (ca. 80 Euro) Eintrittsgebuehr erfreuen. "Separate but equal" sagte man in den USA bis Mitte des 20. Jahrhunderts wohl dazu.
Waehrend Dilan bereits beim Doktor vorgeladen wurde, nutzte ich die Zeit damit, einige Blicke durch das kleine Wartezimmer zu werfen und blieb mit Erstaunen bei einem grossen Werbeplakat stehen, aus dem hervorging: Dies ist gleichzeitig eine Praxis fuer plastische Chirurgie! Von der Botox-Spritze bis zum Silikonimplantat kann man so ziemlich alles in Anspruch nehmen. Ploetzlich glaubte ich, in jedem der (weisshaeutigen!) Gesichter in den komfortablen Wartesesseln eine Straffung im Gesicht zu erkennen. Und dann wieder der Blick aus dem Fenster auf tausende von schiefen Ziegelhuetten mit Wellblech. Ekelhaft.

Schlussendlich war dann alles ganz harmlos. Ein nachtaktiver Parasit hatte sich wohl ueber mein neues Bettlaken den Weg auf meinen Ruecken gebahnt. Mir wurden vom aeusserst netten Dr. Martins zwei - ausnahmsweise billige - Salben verschrieben und das Problemchen war nach einer Woche erledigt. Aber der Eindruck vom Gesundheitssystem bleibt: Wer zahlt, darf rein. Wer nicht zahlt, geht zu einem (kostenlosen) Krankenhaus fuer alle Anderen. Eine (marxistische) Klassengesellschaft?


Teil 1 - Einblicke ins Gesundheitssystem
Teil 2 - Palmares, ein Dorf wehrt sich
Teil 3 - Salvador da Bahia
Teil 4 - Die christliche Kirche in Brasilien - ein Segen?

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