Dienstag, 30. März 2010

Kapitel 4 - Teil 2: Wo Licht ist, ist auch Schatten

Die folgenden Zeilen werden nicht jedem gefallen, der das hier liest. Es geht um meine persoenliche Meinung, die ich im Sinne der Aufrichtigkeit auch aeussern sollte, wenn mir mal etwas nicht passt. Sie spielt im Sinne des Dialogs zwischen dem deutschen Staat, den ich in Brasilien vertrete und der die ganze Angelegenheit finanziert, meiner Arbeitsstelle Terra Mirim selbst, sowie meinen Spendern und meiner Entsendeorganisation Amntena hoffentlich eine Rolle. Nicht zu Letzt soll dieser Bericht den naechsten drei Freiwilligen, die in dieser Einsatzstelle unterkommen werden, vorzeitig helfen, sich auf das Leben und die Arbeit hier einzustellen - eine Hilfestellung, die ich leider vor meinem Aufbruch nicht erhalten habe, mit besten Gruessen an dieser Stelle an meine Vorgaenger. Aber wollen wir nicht unnoetig Sand aufwirbeln und widmen wir uns den Tatsachen, mit denen es umzugehen gilt.

Fangen wir also ganz von vorne an: mit der Vorbereitung auf Terra Mirim in Deutschland.
Im Laufe der Jahre 2008 und 2009, also waehrend meiner Zeit als Abiturient, bekam ich ueber meinen Verein Amntena Material zugeschickt, dass direkt von Terra Mirim stammte. Es sollte mir dabei helfen, mich auf das Jahr in Brasilien vorzubereiten. Meine Spender werden sich erinnern - an meinen Flyer, auf dem gross und schoen von DEM Konzept der "Integrativen Oekologie" als Vorzeigeleitlinie einer Oekologischen Schule erzaehlt wird. Es war davon die Rede, dass ich hauptsaechlich in paedagogischer Taetigkeit auf eben dieser Schule in Brasilien aktiv werden sollte. Sogar mein eigenhaendig unterzeichneter Arbeitsvertrag spricht von "Mithilfe in dem Projekt, Unterrichtsbegleitung" und das war - ganz nebenbei - auch bei Dilan, meiner deutschen Kollegin hier, der Fall.

Weitere Informationen bekam ich im Vorfeld des "Partnerdialogs" noch in Form einer Kurzbeschreibung Terra Mirims. Idyllisch-poetisch wurde darin beschrieben, wie man sich um die Kinder in der Schule kuemmert, wie die etwa zwanzig Bewohner stets gemeinsam einem spirituellen, schamanischen Leitgedanken folgen, durch den sie viele soziale Projekte verwirklichen. Dass sie Baeume pflanzen, die Umwelt mit Hilfe der ortsansaessigen Bevoelkerung zu schuetzen versuchen und "mit eigenen Haenden die Fluesse" reinigen.

Jetzt meine ganz neutrale Frage an die Leser - gehen Sie einmal tief in sich - : Was hat man sich bei dieser Informationslage im Vorfeld des Dienstes unter seiner Arbeit vorzustellen? Dass man fuenf von elf Schichten in der Woche in einem Sekretariat auf Anrufe wartet, Akten ordnet, Telefonlisten erstellt und den Tuerknopf betaetigt, wenn jemand das Gelaende betreten oder verlassen will (Dilan)? Dass man seine Zeit hauptsaechlich damit zubringt, Blaetter und Grass zu kehren, zu putzen, Essen fuer die Gemeinschaft aufzuwaermen, Werkzeuge zu polieren, Beete zu bewaessern und eine von niemanden benutzte Bibliothek in Stand zu halten? Aber der Reihe nach, will ich mich doch nicht als arroganter, staendig unzufriedener Bourgoise aus Deutschland outen, der an allem etwas auszusetzen hat und sowieso keine Lust auf nichts hat. Jedoch ist eine, fuer die Leute hier in Brasilien selbstverstaendliche (!), Diskrepanz zwischen Werbeaufruf in Deutschland und Wirklichkeit wohl fuer jeden auf den ersten Blick ersichtlich.

Natuerlich muss ganz klar gesagt werden: wir Deutschen wussten, dass wir in einer schamanischen Gemeinschaft unterkommen, dass die Gemeinschaft ihre Regeln hat - wie feste Essenszeiten, Verzicht auf Fleisch und Alkohol und das fanden wir sehr interessant. Mir als Vegetarier faellt es ohnehin leicht, Gemuese und Soja zu essen und sein Feierabendbier kann man auch ausserhalb des Gelaendes zu sich nehmen. Oder auch mal zwei. Kein Problem soweit zu dieser Idee. Im Gegenteil, mit grosser Spannung blickte ich der Sache entgegen, die mich mit ernaehrungsmaessig Gleichgesinnten zusammen bringen sollte.

Auch dem Schamanismus wandten wir uns sehr offen und interessiert zu: Was heisst das, wenn eine Schamanin wie Alba Maria Terra Mirim leitet? Wie sieht das Leben einer Gemeinschaft aus, die sich auf ewig untrennbar und sehr tief mit der Natur verbunden hat? Ja, was ist Schamanismus ueberhaupt? Auf die Antworten war ich vor meiner Abreise nach Brasilien sehr gespannt und auch im Partnerdialog mit der Vertreterin von Terra Mirim Deutschland und Albas Sohn Tiago gegen Ostern wurde diese Vorfreude geschuert.

Letztendlich war meine Vorstellung von Terra Mirim im August 2009, also kurz vor Entsendung, so: Hauptsaechlich Arbeit im Lehrbereich (auch wenn ich die Sprache noch lange nicht sicher beherrschte, es musste ja wohl dennoch moeglich sein, Wissen an den Mann zu bringen!), zusaetzlich Mithilfe in Projekten zum Umweltschutz wie beispielsweise beim Bienenprojekt oder beim Baumpflanzen und natuerlich die Teilhabe an sozialen Aufgabrn fuer den "Dienst im hoeheren Sinn", der doch in der Kurzbeschreibung Terra Mirims so angepriesen wurde. Auch die Tatsache, dass es gelegentlich Theaterstuecke aufzufuehren gibt, machte mir Mut, hatte ich doch schon fuenf Jahre Theater auf dem Buckel und koennte bestimmt meine Ideen an der ein oder anderen Stelle mit einbringen, genauso wie moeglicherweise meine Schlagzeug- und Gitarrenkenntnisse vielleicht sogar hilfreich den Jugendlichen vor Ort vermitteln.

Zeitsprung, wir befinden uns jetzt in einer der ersten Montagsbesprechungen zur Erstellung des Wochenplans von Dilan und mir, gut drei Wochen nach unserer Ankunft. Die Zeit bis dahin war fuer mich alles andere als einfach. Hatte ich doch erstens den anstrengenden, aber nicht besonders produktiven Sprachkurs in den Knochen, fuer den ich zwei Wochen lang vier Stunden taeglich mit dem Bus nach Salvador und zurueck fuhr - fuer nur anderthalb Stunden langweiligsten Unterricht. Und ausserdem erhielt ich bei meiner regelmaessigen nachmittaglichen Rueckkehr Arbeiten, die so ganz und gar nicht der Voelkerverstaendigung oder aehnlichen Vorstellungen internationaler Zusammenarbeit entspricht. Da hiess es fast immer "Unkraut pfluecken". "Anstatt raus in die Welt zu gehen und Leuten etwas von dir - im hoeheren Sinne - geben zu koennen, wird man dazu verbannt, vor einem Beet zu knien und Grashalme abzuernten, sich also mit dem Kleinsten vom Kleinen abzugeben - Arbeiten, die nichts und niemandem helfen", das waren meine mich peinigenden Gedanken, die natuerlich nicht halfen, die ein oder andere Heimwehattacke wegzustecken - "war nicht alles doch eine voellig schwachsinnige Idee? Haette ich nicht ein Jahr lang einfach einen Zivildienst machen koennen und mein Leben im Kreise der Familie und Freunde geniessen sollen?" Nein, immernoch fuehlte ich mich zu einer guten Sache berufen, die ihren Sinn hat.

Und nun kommt doch die so auf Harmonie und produktives Zusammenleben geeichte Schamanin bei der Wochenbesprechung daher und poltert tatsaechlich nach unseren ersten zaghaften Verbesserungsvorschlaegen unserer Arbeit gegenueber los: "Ihr seid Freiwillige der Gemeinschaft Terra Mirim, NICHT der Oekologischen Schule!" Verwirrung und Entsetzen holten mich ein. Sollten wir nun etwa doch nicht in der Schule arbeiten oder in Projekten des Umweltschutzes eine Rolle spielen? Doch doch, gewiss: zwei Schichten woechtentlich in der Schule, sowie eine Schicht zur Fuetterung der Bienen wurden mir zugesprochen. Macht drei von elf. Ich konnte es mir eines Abends dann nicht mehr verkneiffen und oeffnete eine Schublade in der Rezeption, in der die Arbeitsplaene unserer Vorgaenger lagerten. Und ich traute meinen Augen nicht: diese hatten tatsaechlich, wie es unsere Werbung in Deutschland ja vermittelte, so gut wie jeden Tag in der Schule gearbeitet, teilweise sieben Schichten. Da fuehlt man sich ehrlich gesagt einfach nur verarscht. Vor allem bei dem Gedanke daran, dass Alba Maria beim oben geschilderten Treffen nicht uerwaehnt liess, dass "ALLE vorherigen Freiwilligen zu gleichen Teilen in allen Bereichen Terra Mirims gearbeitet" haetten. Der Glaube daran war zu Recht ins Wackeln geraten.

"Freiwillige der Gemeinschaft Terra Mirim", was sollte das nun also heissen? Wir durften es erfahren. Es ist eigentlich ganz einfach. Als Freiwilliger der Gemeinschaft Terra Mirim hilft man der Gemeinschaft, dass diese ihren hoeheren Taetigkeiten nachgehen kann. Ein Beispiel: wenn ich Unkraut pfluecke, muessen andere der Gemeinschaft das nicht machen und koennen sich "wichtigeren" Dingen widmen. Dumm nur, dass die schamanische Philosophie an dieser Stelle im Weg steht, die da so schoen besagt: "Es gibt hier keine wichtigen und unwichtigen Dinge - Alles ist wichtig." Das hatten sie in der Sowjetunion auch posaunt, die "Arbeiter und Bauern" verrichteten gegenseitige Dienste an sich im Sinne der Bruederlichkeit und Gleichheit. Aber, wie es nun einmal so ist: manche waren gleicher als andere. Und dieses Gefuehl liess mich auch in Terra Mirim nicht los.

Warum durfte ich ploetzlich Werkzeuge polieren, Yoga-Matten desinfizieren, Gemuese fuer die Gemeinschaft einkaufen gehen, Pflaenzchen giessen, Blaetter kehren, Unkraut jaehten und Dilan in der Rezeption hinter dem Schreibtisch versauern? Klare Antwort von Seiten der Einrichtung: "Weil es absolut wichtig fuer uns alle ist und es sonst niemand machen kann. Wir sind voll auf euch angewiesen. Wir jehten das Unkraut, damit die Beete schoener werden, damit die Leute, die hier vorbeikommen es schoener finden, damit diese vielleicht oefters hierher kommen, damit alles bekannter wird und expandieren kann in seiner Rolle als avantgardistisches Weltmodel" Aha. Da haben wir also den Widerspruch gefunden, der Terra Mirim und die Werbung der Einrichtung entzweit: Es werden Freiwillige (aus dem Ausland!) gerufen, um bei den vielfaeltigen und sehr tollen (!) Projekten mitanzupacken. Gleichzeitig ist man aber "absolut angewiesen" auf deren Hilfe beim Erhalten und inneren Zusammenhalten des Ladens, egal mit welchen Interessen, Staerken und Motivationen diese Menschen in Brasilien landen.

Und das ist so ganz und gar nicht in Ordnung, vor allem, dass ich mir in spaeteren Gespraechen - zu denen wir noch kommen werden - den offenen Vorwurf gefallen lassen musste, Opfer meiner existenzialistischen Motive zu sein. Welch Paradoxie und Demuetigung zugleich! Ein Jahr in Brasilien, fernab der Familie und Freunde, die man vermisst, ohne Lohn, mit Samstagsschichten und all das nicht um hauptsaechlich zu helfen, sondern um davon zu profitieren und sich selbst zu verwirklichen? Natuerlich hat man unglaublich viel davon, man lernt eine neue Sprache und Kultur, eine andere Lebensart kennen, aber im Vordergrund stand von mir urspruenglich ganz klar eine erfolgreiche Arbeit und die Hoffnung, Jugendlichen und Kindern etwas auf den Weg geben zu koennen.

Und selbst wenn es denn so ist, dass mich auch Abenteuerlust und der einfache Wunsch, etwas ganz Neues zu erleben nach Brasilien gelotst haetten - wer kann einem dies veruebeln? Es ist im Grunde genommen die philosophische Grundfrage nach dem Selbsterhaltungstrieb: Kann ich wirklich ein Leben lang selbstlos sein, nur fuer andere bestehen und allen Interessen vor meinen Vorrang lassen? Auch die Menschen in Terra Mirim leben nicht ohne Eigenmotive an diesem Ort, das muss klargestellt sein. Die vielen schamanischen Rituale, Gesaenge, Meditationen, Koch -und Saftkurse, Yogastunden, der ultragesunde Lebensstil, eine "Meisterin" und Mutter fuer alle und auch diese selbst reist gern und viel um die Welt - unverkennbar wichtige Motive, wenn nicht sogar DIE Motive vieler Teilnehmer, an der Gemeinschaft Teil zu haben. Und es ist ja niemandem zu veruebeln, ganz im Gegenteil! Es ist doch voellig in Ordnung und verstaendlich, den Traditionen der Vorfahren und indigenen Voelker dieser Welt zu folgen, gesund im Einklang mit der Natur zu leben, innerlich heilen duerfen, die Welt zu erkunden und sich von der Leistungsgesellschaft abzukoppeln. Und es ist gut so, dass jeder seinen Spass an der Sache hat, den das formt doch gerade eine glueckliche Gesellschaft. Aber eins muss klar sein: in Terra Mirim zu leben, heisst Selbsterfuellung im allerhoechsten Sinne - sich auf eine innere Reise zu machen und daraus Kraft zu schoepfen fuer die anstehenden (moeglichst sozialen) Aufgaben, darin liegt das Kernmotiver fast aller Bewohner. Liebe deinen Naechsten wie dich selbst, heisst es so schoen auch im Christentum. Also dann doch keine 100% bedingungslose Hingabe aller Kraefte fuer das Leben anderer Menschen. Man kann darueber eine philosophische Diskussion entfachen, ob es ueberhaupt moeglich ist, ohne Selbsterhaltungstrieb zu leben? Man wuerde vielleicht bei Jesus Christus als moeglichem Vorbild landen und sich Gedanken darueber machen, ob das Paradies auf Erden somit existieren kann. Ein spannendes Thema in jedem Fall nicht nur fuer Theologen!

Jetzt will ich aber nicht uebermaessig schwallen: die Zeit zwischen September und Februar war, auch aufgrund des Urlaubs um die Weihnachtszeit, sehr ergiebig und lehrreich. Meine Motivation konnte ich immer wieder an bestimmten Punkten zurueckgewinnen. Sei es eine spassige Stunde mit meinen Volleyballmaedels, das dreitaegige EcoArtfestival, der langsam einsetzende Englischunterricht mit unserer einen Schuelerin (dieses Jahr werden es wohl mehr sein!), die Jugendgruppe - eine wirklich tolle Initiative mit viel Potenzial, welche Freude auf mehr macht -, die "Demonstration", bei der Dilan und ich durchs Dorf gingen und Flugblaetter verteilten, die Fortschritte beim Sprechen, das Finden von Freunden ausserhalb, die Ausfluege zu Straenden, nach Salvador.

Aber an manchen Tagen zog es mich doch ziemlich tief runter, dieses Gefuehl, den Zweck zu verfehlen. Vielleicht in diesem Fall speziell durch den Kontrast zur grossen Reise mit meiner Mutter hervorgerufen, so waren einige Arbeitsttage des Januars und Februars mehr frust-, als lustreich. Das lag auch mit Sicherheit daran, dass die Oekologische Schule nun zu allem Ueberfluss auch noch Sommerferien hatte, die zwei fixen Schichten also vorruebergehend wegfielen. Anstatt nach abwechslungsreichen Alternativen zu suchen, bedeutete dies aber nur: noch mehr Rezeption fuer Dilan (bis zu 7 von 11 Schichten) bzw. Blaetterfegen/Beete pflegen fuer mich. Und das, obwohl wir wiederholt zu verstehen gegeben haben, dass wir uns als Projektarbeiter sehen und nicht als Diener der Gemeinschaft.

Ein wahrer Durst nach sozialer Verantwortung liess mich in der sommerlichen Trockenzeit Bahias schmachten.


Teil 1: Zwischen Tucanen, Strandparadies und Krokodilen
Teil 2: Wo Licht ist, ist auch Schatten
Teil 3: Metropolis
Teil 4: Wochen des Wandels?

Mittwoch, 24. März 2010

Kapitel 4 - Teil 1: Zwischen Tucanen, Strandparadies und Krokodilen


Hallo erstmal, ich weiss gar nicht, ob sie`s wussten, aber neulich war ich im Urlaub.

Die vergangenen Wochen und Monate stecken voller Begebenheiten. Selten habe ich in meinem Leben eigene Freude, Glueck, Trauer und Wut dermassen real miteinander verschmolzen erlebt. Zum Zerreissen war es manchmal. Und dann wieder einfach traumhaft. Einige Zeit habe ich damit verbracht, das vergangene halbe Jahr zu reflektieren und aufzuarbeiten. Im Kreise einiger Arbeitskollegen gelte ich womoeglich auch deswegen als vertraeumter und zerrueckgezogener Mensch. Hatte ich bis zu meiner Ankunft in Brasilien noch mit vielen Mitgenossen ueber "Carpe Diem" philosophiert - die Kunst, das Hier und Jetzt zu geniessen und zu fuellen -, so stellte ich fest, dass dies leider oft leichter gepredigt als gelebt ist.
Entfaltungsgrenzen zu spueren ist eine bittere Sache, aber so lernt man seine Anpassungsfaehigkeit und Improvisationstalente kennen. Dass die naechsten sechs Monate anders sein sollen als die zurueckliegenden, steht fuer mich fest. Und dennoch habe ich unglaubliche Bilder in meinem Kopf, die nahe an meine Vorstellungen vom Paradies heranreichen: die kilometerlangen Wasserfaelle bei Iguacu - "in einem Land vor unserer Zeit" -, gelblich leuchtende Krokodilaugen bei sternenklarer Nacht auf einem See im groessten Sumpf der Welt, vor Glueck strahlende Gesichter beim Singen, Tanzen, Capoeira, Meeresbaden, Fluesse aus Gold (oder, je nach Ansicht, bierfarben)...

Beginnen moechte ich mit diesem Rueckblick an jener Stelle, an der ich vor Weihnachten aufgehoert hatte, zu schreiben.
Am Heiligabend kam meine Mutter hier in Brasilien an. Knapp zwei Wochen sollten wir uns gemeinsam auf zu Abenteuern machen, dabei zuerst Salvador -, dann Iguacu am Argentinisch-Brasilianisch-Paraguayanischen Dreilaendereck besuchen und letztendlich in Mato Grosso das Pantanal kennenlernen.

Wir beschlossen, Weihnachten in Terra Mirim zu verbringen, im Kreise meiner Arbeitskollegen. Dieses Weihnachtsfest sollte ein wenig anders verlaufen, als man es normalerweise gewoehnt ist. Zuerst einmal die Temperatur - 35 Grad an Heiligabend! Da wundert es wenig, dass der Weihnachtsbaum von einem Aluminium-Plastik-Imitat ersetzt wurde. Auch mit der familiaeren, kuscheligen Atmosphaere war es eher wenig in Einklang zu bringen. So feierten wir etwa mit 30 Leuten (hauptsaechlich Alba Marias Familie und andere Mitbewohner Terra Mirims) im grossen "Haus der Kuenste", wo normalerweise Theatervorfuehrungen oder Aehnliches vor einem Publikum fuer bis zu 150 Leute ablaeuft. Aus einem kleinen und engen Kreis wurde also ein grosses und weites Quadrat.

Die Einleitung des Weihnachtsabends mit schamanischen Mantras haben meine Mutter und ich verpasst, kamen wir doch etwas spaet aus Salvador zurueck. Danach durfte eine Schnitzeljagd ueber das Gelaende von Terra Mirim nicht fehlen, bei der alle Teilnehmer am gemuetlichen Fest der Liebe in drei Gruppen eingeteilt wurden, die schliesslich im Dunkeln durch die Gegend rannten, um Zettelchen einzusammeln und die verschiedenen Sammelpunkte abzuklappern.

Anschliessend wurde im grossen Sahl eine kleine Leinwand aufgestellt. Mit Hilfe eines Beamers durften sich alle eine Folge einer japanischen Zeichentricksendung (auf Portugiesisch) ansehen. Die hatte recht wenig, besser gesagt gar nichts, Weihnachtliches an sich. Dennoch liessen es sich die Verantwortlichen der Einrichtung Terra Mirim vor dem Vorspielen der tiefgruendigen und hochaufwendig produzierten Serie nicht nehmen, zu erklaeren, dass es um Energien in jedem Einzelnen ginge, um Weisheit und Willenskraft. Abgesehen davon, dass wir Deutschen den schwerverstaendlichen Text nicht aufnehmen konnten, empfanden wir es eher als RTL-II Nachmittagsprogramm fuer Kinder, denen es die Eltern nicht verbieten, fern zu sehen. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere Leser ja noch an Serien wie "Pokemon" und kann sich dadurch einen weihnachtlichen Vergleich ermoeglichen. Aber dann sollte der Abend lustig-froehlich weitergehen. Ein Dunkeltanz-Wettbewerb mit Kerzen wurde veranstaltet (bis auf Mutti tanzten alle) und die weihnachtliche Kaminfeueratmosphaere ward nun perfekt.

Bereit also zur Bescherung: jeder hatte im Vorfeld einen "Wichtelfreund" per Los gezogen und musste diesem ein Geschenk organisieren. Jedoch wurde das Geschenk nicht bloss ueberreicht, sondern der Empfaenger wurde in einem Gedicht, mit einer Schauspieleinlage, ueber Standbilder oder sonstige Moeglichkeiten praesentiert.
So wurde fuer mich ein Capoeirarythmus getrommelt und mir feierlich mein heiss ersehntes Capoeiratrainingsbuch ueberreicht.

Dann war das eigentliche Fest auch schon vorbei und man verbrachte noch z.T. ein wenig Zeit an einem kleinen Feuerchen, sprach miteinander, ich hatte dazu mit meiner Mutter bis zu diesem Zeitpunkt ja kaum Gelegenheit gehabt, waehrend die handvoll brasilianischen Jugendlichen zurueck zum Computer eilten und Counter Strike - "Isch baller disch weg, Bumm, Knall, Blut, Gewalt..." - spielten.

Fazit: Eine interessante und neue Erfahrung, die sich auf jeden Fall gelohnt hat. Weihnachten im Kreise der Familie, am Kamin, am echten Weihnachtsbaum, mit Weihnachtsliedern und Eiseskaelte draussen ist aber fuer mich allemal weihnachtlicher, auch gehoert ein Weihnachtsmarkt mit seinem duftenden Crêpes -und Gluehweinstaenden dazu, sowie das gute alte Weihnachtskarussel und vielleicht auch eine Schlittschuhbahn. In meinen Augen konnte man dieses Weihnachtsfest schon als merkwuerdig bezeichnen, vielleicht bin ich aber auch in diesem Fall einfach nur ein Spiesser.

Aber Heiligabend hatte ja auch noch was ganz Anderes zu bieten: er sollte den Beginn meines "Mutterschaftsurlaubs" einleiten! Die naechsten drei Tage wohnten meine Mutter und ich in einem sehr schicken Hotel in Salvador. Zum ersten Mal seit 4 Monaten hatte ich an diesen Tagen mal wieder ein richtiges Bett unter meinem Ruecken. Mit einer richtigen Matratze, bei der man beim sich Drauflegen nicht sofort die festgeschraubte Holzplatte spuehrt. Und dann dieses schicke kleine Bad, mit einer verlaesslich funktionierenden (Warmwasser-)Dusche und die Groesse des Zimmers! Die ca. 7m² meines Terra Mirim-Zimmers waren - gefuehlt - schon alleine vom Hotelbett geschlagen und es blieb trotzdem derart viel befreiender Platz. Und ein Balkon im 10. Stock mit Meerblick zum Sonnenaufgang durfte bei diesem "Luxus" natuerlich auch nicht fehlen.

Aber kommen wir einmal endlich zum eigentlichen Urlaub und lassen wir die durch die neue Raumkonstellation zustande gekommenen persoenlichen Gluecksmomente aussen vor.
Da haben wir also in drei Tagen:
- eine Inselrundfahrt mit viel Sonne, Fruechten und froehlich-heiterem bahianischem Temperament auf einer Schaluppe unternommen
- die Meeresschildkroetenstation am Praia do Forte besucht
- ein naechtliches afro-brasilianisches Livekonzert im Pelourinho erlebt

Dieses hat meiner Mutter sehr sehr gut gefallen, welche daraufhin unbedingt dem Saenger ohne Portugiesisch zu erklaeren versuchte, wie wahnsinnige toll es denn war. Der fand das auch recht amuesant und liess sich gerne auf einen netten Smalltalk ein. Aufgrund des Ursprungs der Band (Olodum) aus einem Strassenkinderprojekt, der guten Musik und dem netten Saenger, ist diese Trommelgruppe nun um einen deutschen Fan reicher geworden! Dann war die Zeit im schoenen Hotel mit dem sehr guten Essen auch schon wieder schmerzlich vorrueber gegangen und wir flogen einige hundert Kilometer weiter gen Suedwesten. Schon der Anblick bei Anflug auf das Gebiet um Iguacu liess einige Erwartungen aufkommen: von oben sah man lange Zeit nur eine durchgehende gruene Decke aus Baeumen, durch die sich irgendwann ein super breiter Fluss (kann mich nicht erinnern, schon einmal einen derart breiten Strom gesehen zu haben) zu schlaengeln beginnt. Genau so hatte ich mir eigentlich die Ansicht des wenige tausend Kilometer noerdlich beginnenden Amazonasbeckens von oben vorgestellt.

Aber wie es nun einmal so ist: ein so riesiges Land wie Brasilien verfuegt ueber weit mehr Waldflaechen, Riesenfluesse und sonstige Gebiete, als es einer europaeischen Vorstellungskraft vielleicht moeglich ist, sich auszumalen. Man stelle sich vor, ein Deutscher erzaehlt einem Brasilianer vom nicht kleinen Odenwald und seinen vielen schoenen Wanderwegen. Da kann der Brasilianer ja eigentlich gar nicht anders als schmunzeln: einige Nationalparks wie z.B. spezielle Indianer-Reservate koennen doppelt so gross wie Baden-Wuerttemberg sein. Das Pantanal, ein riesiges Sumpfgebiet - da sollten wir ja auch noch durchreisen - hat eine aehnlich grosse Flaeche wie Westdeutschland. Von Konstanz bis Flensburg, von Aachen bis ins Harz: Sumpf, Seen, Grassflaechen. Unvorstellbar.

Unvorstellbar auch die Hitze, die uns beim Ausstieg aus dem Flugzeug in Iguacu erwartete. Dachte ich, durch die bahianischen Temperaturen bereits ein UV-trainiertes, sonnenresistentes Wesen geworden zu sein, so musste ich mir angesichts der 40 Grad bei gefuehlten 99 Prozent Luftfeuchtigkeit eingestehen, dass es dazu noch weit war, womoeglich unerreichbar fuer einen europaeischen Gringo wie mich. Aber dieses unglaubliche regionale Klima hat womoeglich auch erst diese grosse Vielfalt an Flora und Fauna im Gebiet von Iguacu ermoeglicht, die meine Mutter und ich nun bestaunen durften.

Da kamen wir also vormittags in unserem Hotel an und sahen schon an einigen Blumenbeeten und Straeuchern, was fuer ein buntes und flatterndes Feuerwerk die Blueten umschwirrte. Riesige Schmetterlinge (bis zu 30cm Spannbreite!) in allen moeglichen Farben flogen umher, saugten mit ihren langen Ruesseln am Nektar, liessen sich treiben im Wind. Atemberaubend ist das wirklich - muss man gesehen haben! Und der grosse Baum ueber dem Eingangsportal war Herberge dutzender Vogelnester, die in ihrer eigentuemlichen Art unter den Aesten hingen. Das weckte uns etwas uebermuedete Gemueter recht schnell wieder auf und als unsere deutschsprachige Fuehrerin uns direkt bei der Ankunft im Hotel mitteilte, dass es noch an diesem Tag zur brasilianischen Seite der groessten Wasserfaelle der Welt (Cataratas de Iguacu) gehen wuerde, war auch das letzte Koernchen Schlaf aus den Augen gerieben und der volle Elan zurueckgekehrt.

Erstmal musste jedoch das Hotel bezogen werden, eine aufgrund organisatorischer Probleme im Vorfeld nicht ganz einfache Angelegenheit. Und dann roch das zu beziehende Zimmer auch noch streng urinoes, ein Zimmertausch war die Folge, bei dem es zumindest nur aus dem Kleiderschrank aehnlich duftete, aber den konnte man gluecklicherweise ja schliessen. Es ist eben nicht immer alles so geordnet in Suedamerika. Dann war die Hektik endlich vorbei und meine etwas aufgebrachte Mutter auch schon wieder am Runterkuehlen, Sonnencreme wurde dick aufgetragen - und ab gings zum nahegelegenen Eingang des brasilianischen Nationalparks, der sich am Rande der Wasserfaelle erstreckt.

Dank unserer deutschen Fuehrerin, die in einer suedbrasilianischen Auswandererkolonie aus dem Hunsrueck aufgewachsen war (die haben sogar ein Oktoberfest in Brasilien aufgemacht!), durften wir schon auf dem Hinweg einige Informationen zu den Wasserfaellen und dem ansaessigen Regenwaldgebiet sammeln und uns gleichzeitig an der Riesenwarteschlange vorbeidraengeln.

Die groessten Wasserfaelle der Welt - Niagara-Faelle sind ein Klacks dagegen -, die groesste Vielfalt an Baeumen auf der Welt, noch heute Rueckzugsgebiet fuer Jaguare, Riesenottern, Aras, Tucane, Papageien, Riesenspinnen, Nasenbaeren, Riesenschmetterlinge und, und, und. Da kam man schon im Vorraus ziemlich ins Staunen und als wir nach und nach immer deutlicher den Klang des stuerzenden Wassers des Rio Iguacu zu hoeren begannen und die Luft noch feuchter wurde (da wird man wirklich nass), hielt sich die Vorfreude kaum noch in Grenzen. Dann oeffnet sich hinter einer Biegung schliesslich der dichte, dunkelgruene Baumvorhang und es bietet sich einem ein unglaublicher Anblick.

Es eroeffnet sich einem eine Sicht hinweg ueber ein tief ausgeschnittenes Flusstal, auf der anderen Seite rauschen auf einer kilometerlangen, geschwungenen Wand in unregelmaessigen Abstaenden kleine, grosse und sehr grosse Wassermassen hinunter, treffen unten auf Fels und Wasser, werden zu Nebel und huellen die ueppigen Regenwaldbaeume, Lianen und Voegelschwaerme am unteren Ende in einen undurchsehbaren, durch sich bildende und verschwindende Regenboegen heiteren, hellgrauen Schleier.

Atemberaubend sieht das aus und man kommt aus dem Staunen gar nicht mehr weg. Ich fuehlte mich versetzt in einen dieser Dinosaurierfilme ("In einem Land vor unserer Zeit"), die ich frueher gerne geguckt habe. Da wurden solche Landschaften aber mit dem Computer erstellt und das hier war nun ploetzlich so unrealistisch real. Wie in einer anderen Zeit fuehlt man sich ploetzlich, so klein im ewigen Kreislauf der Dinge. Und auch die Tatsache, dass das Wasser aus Argentinien nach Brasilien faellt, ist irgendwie belustigend.

Ueberall diese Schmetterlinge! Vier, fuenf setzen sich auf eine Hand und lassen sich forttragen, waehrrend sie mit ihrem kitzligen Ruesselchen das Salz von der menschlichen Haut abschluerfen. Orchideen schlagen ihre Luftwurzeln in alle Richtungen, ein Hoellenlaerm kommt von den Baeumen, an denen die Zigarden im Schreien wetteifern, hier eine Hoehle einer Vogelspinne, dort ein etwa ein Meter langer Nasenbaer, der seine Scheue gegenueber Menschen scheinbar voellig verloren zu haben scheint. Es ist ein Paradiesgarten, durch den wir da spazierten. Entlang auf der gegenueberliegenden Seite der Wasserfaelle durch den Atlantischen Regenwald. Dieser Regenwald reichte frueher tausende Kilometer weit bis in den brasilianischen Nordosten hinauf. Das Stueckchen in Terra Mirim und jenes in Iguacu gehoerten bis vor 200 Jahren noch einem geschlossenen Waldguertel entlang der brasilianischen Kueste an. Ein Regenwald mit einer groesseren Biodiversitaet als dem Namensvetter in Amazonien. Aber als der Mensch nun einmal das Land kolonisierte, versklavte und Plantagen und Siedlungen baute, wurde der Wald immer weiter zurueckgedraengt. So existieren heute nur noch ca. 5 % dieser Flaeche, fleckchenweise ueber Brasilien verteilt und ohne die Moeglichkeit eines genetischen Austauschs der Populationen, was dem Artenreichtum natuerlich zusaetzlich zu schaffen macht.
Der Nationalpark von Iguacu ist eines der groessten noch existierenden Gebiete des Atlantischen Regenwaldes und man muss hoffen, dass nicht auch er irgendwann dem Flaechenbedarf von Milliarden Menschen auf dieser Erde zum Opfer faellt.

Eine ganze Weile spazierten wir also auf der brasilianischen Seite, ohne dass die lebendige Mauer aus Wasser aus Argentinien Enden wollte. Bis wir letztendlich in einer Art Trichterschlucht ankamen, der sogenannten "Garganta do diabo" (Teufelsschlund). Wahnsinnigerweise fuehrt ein von Menschen erbauter Weg zu einer Plattform, die inmitten dieser gigantischen Flut von allen Seiten steht. Links, rechts, hinten, oben, unten - ueberall rauschendes Wasser. In einem Land vor unserer Zeit!

Die Klamotten warfen wir unserer Fuehrerin zu und kurzerhand ging es auf die Plattform, wo man vom Nebel der donnernden Wassermassen eingehuellt und geduscht wird. Ich schwoere: so eine Dusche baue ich mir spaeter einmal in mein Traumhaus: auf 10m² mit 360 Grad-Funktion, Vogelgezwitscher -und Wasserrauschenlautsprechern, original brasilianischem Naturstein, Tag -und Nacht- und Vollmondmodus mit kuenstlichem Sternenhimmel, sowie nicht zu vergessen Plastiklianen zum nackigen, duschenden Tarzanschwingen! Deshalb wollte ich schon immer Architekt werden.

Am naechsten Tag sollte das Erlebnis nicht minder schoen ausfallen: es ging nun auf die argentinische Seite der Faelle, also auf jene, wo man von oben dem herunterstuerzenden Wasser hinterher blicken kann. Der Nationalpark bestach durch einen offenen Bimmelzug, der den Weg vom Eingang zu den eigentlichen Wasserfaellen gut ueberbrueckt. Schoener ist dies in jedem Fall als die brasilianische Variante, bei der man die paar Kilometer pflichtweise entweder mit dem Auto oder einem Reisebus zurueck legen muss.

Mit der Urwald-Lok ging es direkt – wir waren die erste Gruppe an diesem Morgen – zur Garganta do Diabo. An jenem Tag durch Touristen fast noch unbesucht, liefen wir ein Stueck von der Endstation des Zuges auf einer Bruecke ueber den von gruen-bewachsenen Inselchen und Untiefen durchzogen, aber dafuer unglaublich breiten Iguacu-Fluss, bis wir dieses Mal auf einer Plattform zum Stehen kamen, die nun oben, am Rande des Teufels-Abgrunds steht.

Auch hier packt einen ein leichtes Kribbeln wenn man dem Wasser hinterherschaut, dass sich von allen Richtungen in diesen riesigen Trichter ergiesst. Die Leute auf der brasilianischen Seite, die wie wir am Vortag eine Dusche auf dem unteren Vorsprung der Wasserfaelle nahmen, konnte man von oben nicht sehen. Denn ab ca. 50 Metern Tiefe kommt auch von unten Wasser nach oben gestroemt, naemlich in Form eines Nebelvorhangs, der durch den Aufprall des schweren H2Os auf dem harten Stein aufsteigt. Es ist schon ein etwas anderes Gefuehl, dem Wasser hinterherzublicken, als den Panoramablick auf der Brasilienseite zu geniessen. Meiner Meinung ist Argentinien einen Tick schoener, vielleicht liegt das aber auch an dem Spaziergang, den wir an der oberen Kante der Wasserwand machten, die sich ueber 2700 Meter erstrecken, wobei an Baechen, Stroemen, wilden Zitronen –und Orangenbaeumen, Papageien. Das Foto des Tages - und es waren einige gute Schnappschuesse zu verzeichnen! – war ein freilebender Tucan im Vordergrund des Wasserfalls.

Und als waere das nicht schon genug gewesen, unternahmen wir an diesem leicht verregneten, aber deshalb nicht unangenehmen Nachmittag, noch einen Ausflug zum Itaipú. Itaipú, das ist nichts Geringeres als das groesste Kraftwerk dieser Erde. Ein paar Zahlen muss man sich dazu einmal auf der Zunge zergehen lassen: der Stausee hinter diesem Wasserkraftwerk ist doppelt so gross wie der Bodensee, die Stromleistung ist ca. sechs mal groesser, als jene des im Jahre 2006 staerksten Kernkraftwerks dieser Welt und immernoch groesser als jene des Drei-Schluchten-Damms in China, der Bau kostete 16,6 Milliarden Dollar, vom Beginn des Baus bis zur vollstaendigen Inbetriebname des Stauwerks vergingen nicht weniger als 32 Jahre, zum Bau wurden 12,57 Kubikhektar (kann man mit so einer Einheit etwas anfangen? 1 Kubikhektar ist ein Wuerfel mit den Kantenlaengen 100 x 100 x 100 Meter) Beton verwendet, die nahe gelegene Stadt Foz do Iguaçu mit ihren 300.000 Einwohner wurde alleine aus dem Grund Unterbringung der Arbeiter aus dem Boden gestampft und zu Zeiten der Inbetriebnahme versorgte das Kraftwerk ganz Paraguay, sowie ein Viertel der Energienachfrage Brasiliens.
Alle diese Fakten sprechen fuer sich und es war interessant, bei der kleinen Doppeldeckerbusrundfahrt auf der etwa 8 Kilometer langen Staumauer mit solchen Informationen versorgt zu werden. Was alles moeglichst ist, was Menschenhaende alles fertig bringen koennen, beeindruckte uns beide nicht wenig.

Allerdings wurde natuerlich von den Betreibern der Touri-Fahrt, die gleichzeitig mit den Kraftwerksbetreibern unter einer Decke stecken, nicht unbedingt hervorgehoben, dass fuer den Bau 40.000 Menschen – vorzugsweise Indianer – zwangsumgesiedelt werden mussten, bevor ihre urspruenglichen Jagdgruende im Atlantischen Regenwald fuer immer in den Fluten des Stausees versanken.
Versunken sind damit auch die sogenannten Wasserfaelle von „Sete Quadas“, in ihrer Dimension den Iguaçu-Faellen wohl ebenbuertig. So bleibt schon ein Geschmaeckle nach dieser Tour bei uns zurueck und man koennte viel darueber diskutieren: Ist es vertretbar, ein Projekt mit derartigen Folgen fuer Mensch und Umwelt zu realisieren, wenn stattdessen keine Kohle –und Atomkraftwerke gebaut werden muessen, deren langfristige Verschmutzungsprobleme fuer alle Erdlinge womoeglich noch viel schlimmer ausfallen? Zeit fuer Philosophie!

Ein anstrengender, aber gleichzeitig atemberaubender und sehr interessanter Tag war zu Ende gegangen. Halt – noch nicht ganz! Am recht ueppigen Abendbuffet bedienten wir uns nicht unbedingt zurueckhaltend und verspeisten koestlichste Gerichte, die, da wir uns ja in Suedbrasilien aufhielten, mehr an die heimische Kueche erinnern als in Bahia. Mit richtigem Koernerbrot, Kartoffelsalat, Tomate und Mozzarela-Schnittis und soweiter. Gleichzeitig gab es live Gaucho-Musik im Paraná-Stil geboten und die Kellner sahen irgendwie alle lustig aus mit ihren roten Halstuechern und den ganz flachen Cowboyhueten. Ganz so lustig ging es mir dann allerdings einige Stunden spaeter nicht mehr.

Da muss den Herren Koechen wohl ein kleines Maloerchen bei irgend einer Sossenzubereitung passiert sein. Mein Magen drehte sich im Kreis und liess mich erzittern, der Gang zur Toilette wurde fuer die folgenden 24 Stunden zum Routineritual im Fuenfminutentakt. Und als haetten wir uns abgesprochen, so knuepfte meine Mutter nahtlos an meine Taetigkeiten an, nachdem bei mir nach vielen Stunden zumindest Cola und Elektrolytloesung so langsam wieder drinn bleiben wollten. So verbrachten wir beide unsere Neujahrswende – schlafend, rueckwaertstrinkend. Irgendwie haben wir es am letzten Tag in unserer Schwaeche aber noch geschafft, einen kleinen Abstecher in einen Vogelpark fuer Tropentiere zu unternehmen, den man uns empfohlen hatte. Das hat sich auf jeden Fall gelohnt. Allerhand bunte Aras, Papageienarten, ein Haus voller Tucane, die gar nicht genug gestreichelt werden konnten, ein Riesenkaefig voller lustwandelnder Kolibris und Riesenschmetterlinge, eine Anakonda, eine Boa Contrictor, die sich um meinen Nacken wickelte (gruseliges Gefuehl - Gaensehaut!) und vieles mehr liessen uns wieder einmal entzueckt ueber diese faszinierende Natur.

Und dann war der kurze Aufenthalt auch schon vorrueber und ab gings ins Flugzeug, weiter nach Cuiabá, der Hauptstadt von Mato Grosso. Diese liegt ein paar hundert Kilometer oestlich der Grenze zu Bolivien, also im aeussersten Mittelwesten Brasiliens und gleichzeitig an der Nordspitze des groessten Feuchtgebiets der Welt: dem Pantanal.

Mehr als 650 Vogelarten – das sind mehr als es in ganz Europa zusammen gibt -, Jaguare, Pumas, Kaimane, Hyazinth-Aras, Wasserschweine, Piranhas, Riesenottern, Riesenstoerche, Ameisenbaeren, Tapire, Fischerbussarde, Koenigsgeier, man koennte stundenlang fortfahren mit der Aufzaehlung der Arten, die das Gebiet beherbergt, das in seiner Fauna mit Sicherheit eines der vielfaeltigsten Oekosystem der Welt ist. Empfangen wurden wir direkt am Flughafen von unserem Pantanalfuehrer Pedro, einem sehr erfahrenen und netten Typ, der sogar in unserem Reisefuehrer als Topguide empfohlen wurde. Das Gepaeck in den Kofferaum des weissen VW Van Sumpfmobils gepackt, machten wir uns sogleich abenteuerwuetig auf den Weg. Raus aus der Grossstadt am Flughafen, auf das Land, kilometerweise geradeaus, geradeaus, geradeaus. Bei stroemendem Regen. Vorbei an unzaehligen Kuehen, gruenen Grassflaechen, grossen aufgetuermten Erdhaufen - illegalen Goldminen.

Da ueberkam meine Mutter schon einmal der Schlaf. Damit war es dann allerdings vorbei, nachdem wir nach einem kurzen Imbiss bei einer sehr netten bekannten Familie Pedros Halt gemacht hatten. Denn dieses Dorf war der letzte zivilisierte Vorposten vor dem Eingang ins Pantanal. Und sobald wir uns, gut mit Anti-Muecke eingecremt, auf die Transpantaneira machten, eine alte Schotterpiste aus Militaerzeiten, wackelte das Auto so stark hin und her, dass an ein Nickerchen nicht mehr zu denken war.

Diese „Strasse“, die ca. 50 Kilometer tief ins Pantanal hineinrakt hat uebrigens eine lustige Geschichte. Im Uebermut der Militaerdiktatur-Jahre visionierte man ueber das irrsinnige Projekt, eine Strasse durch das Pantanal hindurch zu bauen. Nur vergassen die Herren Generaele beim aberwitzigen Planen zu bedenken, dass zur Regenzeit ungefaehr zwei Drittel des Pantanals unter Wasser liegen. Als man das feststellte, hatte man allerdings schon mit den Bauarbeiten begonnen. Kurzerhand beliess man es dann dabei, die lediglich mit Schotter und Erde aufgeschuettete Piste so zu lassen, wie sie zu diesem Zeitpunkt war. Und heute dient sie Hauptverkehrsader fuer Touristen. Das heisst allerdings nicht, dass es von auslaendischen Abenteurern wimmelt, im Gegenteil. Die Strasse ist groesstenteils wie ausgestorben und zur Linken und Rechten erstreckt sich nach einigen Kilometern Viehweide schliesslich das freie und unberuehrte Sumpfgebiet.

Und so fuhren wir nun also dahin auf dieser einsamen, durch die eisensalzhaltige Erde rotgefaerbte Piste. Aufgrund der Fahrbahneigenschaften haben wir fuer die nur 20 Kilometer etwa anderthalb Stunden gebraucht, dafuer aber dabei schon jede Menge gesehen. Gluecklicherweise kann Pedro sowohl die brasilianischen, als auch die deutschen Namen der Tiere allesamt auswendig (Englisch kommt bald!) und so hielten wir immer wieder an, um Eisvoegel (Vogel des Jahres 2009), Fischreiher, Falken, Sumpfhirsche oder Kaimane zu bestaunen.

Kaimane, ja diese Krokodile sehen auf den ersten Blick ziemlich furchteinfloessend aus. Ein Riesenmaul mit Zaehnen am anderen Ende, sowie die Haltung, in der die Tiere im Wasser liegen tun dazu ihr Uebriges. Denn zu sehen sind im Wasser eigentlich nur die zwei Nasenloecher, sowie die stechenden und suchenden Augen dieser Reptilien. Stundenlang koennen sie so bewegungslos im Wasser verharren, um dann schlagartig mit einem grossen "Happs" einen vorbeischwimmenden Fisch runterzuschlucken.

Bis in die 60er Jahre wurden die Brillenkaimanbestaende im Pantanal kontinuierlich vom Menschen dezimiert. Eine schoene Krokodilhandtasche war in Europa guenstig zu haben. In dieser Hinsicht ist die Lage heute deutlich entspannter, geschaetzte 35 Millionen Kaimanen bevoelkern nun wieder das Pantanal und werden deutlich besser geschuetzt.

Dennoch floriert der illegale Tierhandel bei anderen Arten nach wie vor. Die Jaguarpopulation erholt sich nur langsam, genauso finden Hyazinth-Aras und andere sehr seltene Voegel immer noch auslaendische Abehmer, die bereit sind, viel Geld dafuer auf den Tisch zu legen. Eine Schande ist das. Aber wir koennen da nur bei uns selbst anfangen: Auf dass wir niemals Jaguarpelze kaufen moegen und jeden, der die Dreistigkeit hat, derartiges zu tragen oder vom Aussterben bedrohte Arten in irgend einer Form hortet, zur Rede stellen, notfalls auch etwas haerter als erlaubt. Und wer so etwas in Geschaeften vorfinden sollte, hat das Recht mit Verweiss auf das Washingtoner Artenschutzabkommen Anzeige zu erstatten und sollte davon auch Gebrauch machen!

Wenn dies aber nur die einzige Bedrohung des Pantanals waere. Viel groessere Bedrohungen kommen durch Industrie und Landwirtschaft auf dieses Gebiet zu. Schaetzungen zufolge, wird bereits 2050 nichts mehr von der Biodiversitaet und urtuemlichen Flaeche des Pantanals uebrig bleiben, wenn die Zerstoerung weiter in diesem Masse fortschreitet.

Illegaler Holzeinschlag und Brandrodungen haben schon 17 Prozent des Gebiets unwiderruflich Platt gemacht. 17 Prozent der Flaeche der ehemaligen Bundesrepublik, das ist wohl in etwa soviel wie der Baumbestand von Schwarzwald, Schwaebischer Alb und Odenwald zusammen.

Sojaplantagen und Viehhaltung sorgen ihrerseits fuer die Unnutzbarmachung des Bodens, der schon nach einigen Jahren naehrstoffarm wird, da derartige, monokulturelle Landwirtschaft seine Degradation unglaublich schnell befoerdert. Nach ein paar Jahren sind also die Farmer stets gezwungen, neue Flaechen abzubrennen und weiterzuziehen.

An den Randgebieten des Pantanals ansiedelnde Grossindustrien tun auch noch ihr Uebriges dazu, die Zerstoerung dieser einzigartigen Landschaft voran zu treiben. Dazu zaehlen vor allem die Produktionsstaetten von Bioethanol, also jene, die Zuckerrohr in Fahrzeugtreibstoff umwandeln. Bei diesen Prozessschritten enstehen hochgiftige chemische Verbindungen, die ungeklaert in die Flusssysteme des Pantanals eingeleitet werden. Natuerlich sterben dadurch die Fische, absolute Nahrungsgrundlage und Basis der Nahrungspyramide des gesamten Oekosystems.

Und auch die Zeit der Goldgraeber ist nicht, wie vermutet, im 19. Jahrhundert vorbeigegangen, sondern haelt auch heute in dieser Region bedrohlichen Einzug. Mit riesigen Maschinen graben diese Menschen ganze Gebiete um und waschen die Goldverbindungen mittels des Gebrauchs von Quecksilber und Amalgamverbindungen aus dem Gestein. Dass Quecksilber sehr toxisch ist, wissen wir alle, denn nur deshalb wurden Quecksilberthermometer damals abgeschafft - aus Gruenden der Gesundheitsgefaerdung fuer den Menschen. Und diese chemischen Abfaelle landen nun im Grundwasser des Sumpfgebiets und verrichten dort ihr furchtbares Werk, die schleichende Infiltrierung des Nahrungsnetzes und Vergiftung der Tier -und Pflanzenarten.

Das Mass an Verantwortung, dass wir Menschen uns in Bezug auf unsere Natur auferlegen, ist, wenn ueberhaupt, minimal. Wir vergessen zu oft, dass auch wir Tiere sind, die auf unsere Umwelt angewiesen sind. Muss es denn immer erst zur absoluten Oekokatastrophe kommen, bis der Mensch Einhalt gebaehrt? Das ist schlichtweg ein trauriges Kapitel Geschichte und man kann nur hoffen, dass es irgendwann zur Umkehr kommt. Und zwar bevor wir merken, dass unsere eigene Gesundheit unter den Umstaenden leidet - Vogelgrippe, BSE und Antibiotika-Fisch sind doch erst der Anfang des "Rueckschlags der Natur", den wir selbst provoziert haben, das kann man meiner Meinung nach nicht leugnen.

Nach dieser kleinen Abschweifung wollen wir uns aber wieder der Reise widmen. Angekommen in unserer mitten im offenen Dschungel gelegenen Pousada, wurden wir sogleich mit unseren Ausflugsmoeglichkeiten vertraut gemacht. Ausritte durchs Gelaende, Tag -und Nachttouren auf einem kleinen Ruderboot, Safaris mit dem VW, Spaziergaenge, sowie Piranhafischen - alle diese Angebote sollten wir in den folgenden vier Tagen wahrnehmen, man kommt ja schliesslich nicht alle Tage am Ende der Welt vorbei.

Es folgten sehr entspannte und gleichzeitig aufregende Ausfluege durch die (noch) intakten Gebiete dieser Welt. Im Detail moechte ich jetzt nicht jede Einzelheit aufzaehlen, aber es gibt drei Dinge, die Dank ihrer Originalitaet auf jeden Fall erzaehlt werden muessen.

Da waere zum Einen das Piranhafischen. Recht frueh am Morgen machten wir uns auf zu einem etwas groesseren See in der Naehe. Mit im Gepaeck ein kleines Eimerchen mit Rindfleischstuecken, sowie zwei Bambusangeln mit spitzen Haken. Da im Januar noch Regensaison im Pantanal ist, wussten wir schon im Vorraus, dass es nicht allzu leicht werden sollte, eines dieser fleischfressenden Suesswassermonsterchen an die Leine zu bekommen. Denn in der Regenzeit dehnen sich Fluesse und Seen derartig aus, dass sich eine riesige zusammenhaenge Gewaesserflaeche ueber der Grasslandschaft ausbreitet.

Somit koennen sich die Fische gut vermehren, da es ein grosses Nahrungsangebot fuer sie gibt und weniger Konkurrenz aus den eigenen Reihen zu befuerchten ist. Zur Trockenzeit sieht die Sache dann aber schon ein wenig anders aus. Aufgrund der ungemein heissen Temperaturen verdunstet dann das Wasser schnell und weicht auf die urspruenglichen Seen und Fluesse zurueck. Jedoch bleiben dann auch immer vereinzelte Miniseen ueber die Landschaft verstreut uebrig, in denen sich die Fische versammeln, die nicht rechtzeitig den Weg zurueck in einen Fluss gefunden haben, bevor sie vom Festland abgeschnitten wurden. Ihnen steht hoechstwahrscheinlich kein Tod durch Altersschwaeche vor, werden sie doch entweder durch die verdunstenden Pfuetzen irgendwann qualvoll vertrocknen, an Nahrungsmangel sterben (durch die Mitkonkurrenten), oder aber von den Horden anderer, groesserer Tiere - vor allem der Kaimane - erbarmungslos verspeist, die sich in der Trockenzeit so richtig satt fressen koennen. Und das im Verbund zu 35.000.000 Tieren, die pro Tag bis zu sechs Kilo Fisch "einatmen" koennen.

Es sollte also leider nicht allzu leicht sein, einen Piranha im grossen See zu fangen, den wir nun aufsuchten. Bis schliesslich nach einigen Minuten meine mit Rindfleischkoeder bestueckte Angel fuer einen Bruchteil einer Sekunde aufzitterte. Ich zog sofort daran und stellte erstaunt fest: das Fleisch war weg! Schnell einen weiteren Koeder aufgesetzt, Angel reingehalten, Zittern, Angel raushalten, wieder weg! Der Piranha schien gefallen an dem Spiel mit mir zu haben, doch hatte er die Rechnung ohne unseren Guide gemacht, der auf der anderen Seite des Bootes seelenruhig seine Angel auswarf. Der hatte sich ueber Jahrzehnte langes Training eine sehr schnelle Reaktionsfaehigkeit angeeignet und wuchtete dann urploetzlich den nun nicht mehr so schlau drein schauenden Piranha an Bord.

Meine Mutter und ich waren davon nicht so begeistert, sei es wegen diesem ekligen Gezappel, oder aber eher durch dieses Riesengebiss, dass sich vor uns entbloesste. 40% vom Koerper ist Beissapparat und die Zaehne sind spitz wie jene eines uebergrossen Brotmessers. Schauderhaft, sich vorzustellen, dass die meisten Brasilianer keine Hemmungen haben, in solchen Gebieten baden zu gehen. Abgesehen von den anderen spitzzaehnigen Kreaturen, die da im trueben Wasser ihren Jagdtrieben nachgehen wie z.B. Wasserschlangen, von denen wir eine etwa 3 Meter lange einmal mit ein wenig Abstand ueber die Wasseroberflaeche rasen - ja, wirklich: wie ein ferngesteuertes Motorboot fuer Kinder! - sehen konnten. Nun gut, jetzt haben wir also ein Foto von einem Piranha in unserem Repertoire und vielleicht auch eine Geschenkidee fuer den naechsten Geburtstag unserer Freunde mit dem Aquarium.

Ein anderes Intermezzo ergab sich auf einem Aussichtsturm in einem kleinen Waeldchen, auf den wir abenteuerlustig und mit Feldstecher bewaffnet hinaufstiegen. Oben angekommen wurden wir jedoch schon von ein paar Freunden erwartet, mit denen wir so nicht gerechnet hatten. Eine Affenfamilie machte es sich in der Sonne bequem, stopfte sich im Liegen Fruechte und Blaetter in die Muender, sprang gelegentlich in den Nachbarbaeumen umher und schien absolut keine Scheue vor uns Menschen zu haben. Fuer die, die es genau nehmen, es waren Bruellaffen, die groesste im Pantanal vorkommende Art, wenngleich ein ausgewachsenes Tier einem Mensch lediglich bis zu den Knien reicht.

Mit grosser Kulleraugen wurde man genaustens begutachtet. Diese Affen kamen auch nicht auf die Idee, uns mit ihren Exkrementen zu bewerfen, wie es ja schon so manchem Besucher im Heidelberger Zoo ergangen ist. Nein, es waren aeusserst friedliche Erfahrungen, vielleicht sogar schon zu friedlich. Fuer einen ausgebufften Wilderer gaebe es nichts Leichteres, als sich derart vertrauender Geschoepfe Herr zu machen. Aber da wir gluecklicherweise von einem anderen Schlag sind, genossen wir einfach diesen seltenen Moment des Einklangs.

Und drittens waeren da natuerlich die Bootsausfluege, die wir je nach Laenge mit dem Paddel oder einem kleinen Motor zuruecklegten. Wer kann schon von sich behaupten, einer 9-koepfigen Riesenotterfamilie beim Jagen zugesehen zu haben? Wir koennen es! Atemberaubend, wie sich diese ueberdimensionalen marderaehnlichen Tiere in fester Formation - wahrscheinlich so eine Art Familienhierarchie - durch das Wasser schlaengeln und es nach Fisch durchkaemmen. Vor unserem herannahenden Boot machten sie aber doch recht schnell kehrt, so dass dieser Anblick micht all zu lange waehren sollte. Aber dem mussten wir nicht nachtrauern, lag doch das naechste Highlight schon vor uns.

Kaimanfuetterung war angesagt, ein Erlebnis, an das sich meine Mutter nicht unbedingt gerne erinnern wird. In der Naehe einer sehr seichten Uferstelle begann unser Guide ploetzlich allerhand lustige Geraeusche von sich zu geben - er kann alle Laute von Affe bis Maeusebussard - und rief auch noch einen Namen. "Zico, Zico." Ein brasilianischer Fussballstar der 80er Jahre im letzten Winkel dieser Erde? Nur fast! Zico ist das Hauskrokodil Pedros, dem er und die Besitzer der nahegelegenen Pousada es in jahrelangem Training beigebracht hatten, Fisch auf Kommando von der Holzstange zu vespern. Und tatsaechlich: aus einer seerosenbewachsenen Stelle tauchten ploetzlich gespenstische zwei Augen auf und im Wasser hinter ihnen machte sich eine schlaengelnde Bewegung ganz offensichtlich bemerkbar - der Schwanz des Kaimanen hatte angefangen, langsam in unsere Richtung zu rudern. Er war hungrig. Ohne grosse Hemmungen kam das geschaetzt 3 Meter lange Tier am Rand unseres Bootes vorbei und sprang schliesslich - wie ein Wasserballtorwart - mit seinen Maul vorraus etwa einen Meter aus der Wasseroberflaeche nach oben hinaus, um den Fisch von einer Holzstange zu ernten, die Pedro ihm hinhielt. Mit einem lauten "Klapp" krachen die beiden Kiefer uebereinander, bye bye Fischli. Keine falschen Aengste: Kaimanen sind menschenscheu. Es gibt und gab bei dieser Art von Krokodilen fast nie Uebergriffe auf Menschen, denn diese sind gross und laufen aufrecht, was den auf Fisch spezialisierten Kaimanen eher Angst bereitet. Es gab sogar schon Naturfreaks, die - zur Trockenzeit! - inmitten einer hundertkoepfigen Kaimankolonie gezeltet haben, ohne dass ihnen etwas geschehen ist.

Der Fotograf unseres Pantanalbildbandes muss so ein Typ gewesen sein, aber nun gut, der ist auch ohne Essen monatelang durchs Pantanal gewandelt und hat sich nur von Flusswasser und Fisch ernaehrt, ist also nicht unbedingt unser Massstab. Allerdings will ich auf keinen Fall die Gefahr von Krokodilen im Allgemeinen verharmlosen. Australische Salzwasserkrokodile haben dort schon einige Fischer und Hafenkaispaziergaenger auf dem Gewissen und auch die Modelle in Florida oder in Amazonien sollen nicht ganz so pazifistisch gegenueber Menschen eingestellt sein. Die Garantie gebe ich also hiermit nur fuers Pantanal ab, wie gesagt: die Leute baden dort mit den Krokodilen zusammen, keine 10 Meter weg von ihnen.

Ja, diese und viele andere schoene Dinge haben wir im Pantanal erlebt, ich habe in meinem Leben noch nie so einen faszinierenden und klaren Sternenhimmel gesehen, geschweige denn nachts die im Scheinwerferlicht leuchtenden Krokodilaugen, die orangefarben reflektieren...nur einen Jaguar habe ich nicht erspaehen koennen, obwohl ich heimlich immer verzweifelt Ausschau hielt.
Vielleicht komme ich genau deswegen im Sommer wieder, wenn Trockenzeit ist. Hinsichtlich meiner Urlaubsplanungen bin ich noch nicht ganz sicher, wo ich denn hin will - die Auswahl ist einfach zu gross (genau wie bei der Torhueterfrage zur Fussball-WM, Lehmann zum Zweiten?). Feststeht jedoch sicher: es gibt noch ein weiteres kleines Paradies auf dieser Welt und es geht darum, jede Moeglichkeit wahrzunehmen, es zu schuetzen!

Nach diesem Superurlaub - trotz Erbrechungsunterbrechungn - trennten sich meine Mutter und ich schon in Mato Grosso, sie flog direkt ueber Sao Paulo zurueck ins eisige Deutschland, waehrend ich mich nachdenklich nach Salvador aufmachte. Dort sollten mich, wie es mein Vater so schoen formuliert, die Abenteuer des Alltags erwarten, zu dem ich in diesen Tagen Gott-sei-Dank ein wenig Abstand gewonnen hatte. Dieser war dringend notwendig. Denn wie sich im naechsten Bericht zeigen wird, ist lange nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen in der "harmonischen Gemeinschaft" von Terra Mirim gewesen.

Teil 1: Zwischen Tucanen, Strandparadies und Krokodilen
Teil 2: Wo Licht ist, ist auch Schatten
Teil 3: Metropolis
Teil 4: Wochen des Wandels?