Samstag, 10. April 2010

Kapitel 4 - Teil 3: Metropolis


Und dann kam Sao Paulo.

Die beiden Amntena-Vorstaende Ludwig Mueller und Kurt Wohnhas hatten alle Brasilianer nach São Paulo eingeladen, zwei aus Porto Alegre, sowie Dilan und mich als auch noch zwei andere Maedels aus Salvadorcity. Es waren vier sehr schoene Tage, ergiebig und lustig zu gleich. Abgesehen von der Arbeit, die es in Bezug auf unsere Projekteinsaetze zu verrichten gilt, hatten wir einige kurze Gelegenheiten, die fuenftgroesste Stadt der Welt kennen zu lernen – mit ihren mehr als 20.000.000 Einwohnern und 8.000km² (Metropolregion).

Kurzbeschreibung direkt nach der Ankunft: eine Stadt, die nur aus Hochhaeusern zu bestehen scheint, bis zum Horizont, in jede Himmelsrichtung. Aber auch in der stets ueberfuellten Metro fuehlt man sich wie Ameise X4U61 auf dem Weg nach Y-!9. Ueberall Menschen, Autos, laute Geraeusche, Blinklichter. Der Inbegriff von Globalisierung, eine Millionen Japaner, genauso viele Deutsche und hunderte Nationalitaeten: alle sind sie in diesem riesigen Pott zu einer bunten Masse verschmolzen, die sich wie wild zielgerichtet durch die Strassen bewegt immer fort pulsiert. Aus meinem Hotelzimmerfenster konnte ich mir gut einen Eindruck von dieser niemals schlafenden Megacity machen. Tag und Nacht, 24 Stunden rund um die Uhr fahren auf der achtspurigen Strasse Autos, Autos, Autos. Das ist schon verrueckt, sich vorzustellen, ein Leben lang in so einer Stadt zu wohnen. Wie soll man je einen Bezug zur urspruenglichen Umwelt des Menschen herstellen koennen, wenn man in so einen Trichter geboren wird und aufwaechst, der keine echte Natur, kein Leben ohne Mangel kennt, kein Leben ohne Verkehr, ohne Geschwindigkeit, ohne Laerm? Da wuerde es mir gewaltig vor grauhen. Aber ein paar Tage reinschnueffeln geht schliesslich immer. Widmen wir uns aber dem Geschehen im Tagungsraum des Hotels zu. Dort wurde viel administratives geklaert, die anderen Freiwilligen stellten ihre Projekte vor und erzaehlten, wie es ihnen denn dabei ergangen war, uns wurden Videos und Fotos der anderen Amntena-Entsendeten in West-Suedamerika gezeigt, die diese zum Seminar in Chile mitgebracht hattten. Und auch Dilan und ich berichteten, wie es uns denn in den letzten sechs Monaten ergangen war. Unter dem Motto "Fides“ (lat.: Vertrauenswuerdigkeit, Ehrlichkeit) schilderten wir offen alle Dinge, wie sie unserer Sicht nach in Terra Mirim gut liefen oder - wie oben beschrieben - mit uns in Konfilkt geraten waren. Den beiden Vorsitzenden missfiel die Tatsache, dass unsere beiden Vorgaenger die Ferienregelung von Weltwaerts - 18 Tage - leicht uminterpretiert hatten, naemlich zu ueber 50 eben derer ummuenzten, denn das hatten sie so natuerlich nicht erwartet. Es erklaert aber fuer alle Beteiligten den Fakt, dass man in Terra Mirim bei Dilan und mir auf jeden Fall Samstagsschichten vorsieht (letztes Jahr nicht der Fall), genauso wie die Mitarbeit beim regelmaessigen Essensaufwaermen und Beete bewaessern ausserhalb der Arbeitszeiten und nicht das Nichtanerkennen von Heiligabend oder Silvester als Feiertage. Natuerlich stimmte die Verantwortlichen von Amntena unsere Bestandsaufnahme zur Arbeitssituation auch nicht unbedingt froehlich. Es wurde darueber diskutiert, wie man die momentane Situation denn aendern koenne, dass sich fuer alle Beteiligten Vorteile ergeben und Zufriedenheit einkehrt. So legten uns Kurt und Ludwig nahe, direkt nach der Ankunft mit den Verantwortlichen von Terra Mirim das offene Gespraech zu suchen. Und das sollten wir auch tun. Allerdings durfte am Vorabend des Abflugs ein gemeinsamer Besuch der stadtbekannten Churrascaria "OK" nicht fehlen, bei dem wir es uns einmal so richtig schmecken liessen. Die einmalige Gelegenheit, einen echten Tropfen Wein vorgesetzt zu bekommen - in Bahia ist das Bier die Domina - konnten wir uns einfach nicht nehmen lassen und mussten natuerlich jeden Jahrgang einzeln testen. Und auch das Essen liess nicht lange auf sich warten. Kaum hatten wir sieben uns an den runden Tisch gesetzt, da schossen schon sogleich mindestens fuenf Kellner herbei, die uns gleich einmal 20 Teller verschiedenster Vorspeisen unterjubeln wollten. Wir bestellten daraufhin schliesslich die noble Variante des "all you can eat" - "all you can eat + all we can cook and bring" und liessen uns verwoehnen. Ja, das darf einmal im Jahr auch sein! Es war ein laufendes Sushi-Fliessband, nur eben in noch lebendigerer Form der Kellner. Immer, wenn einer seinen Teller artig aufgegessen hatte, kamen sofort drei Kellner und fragten nach weiteren Wuenschen, bzw. kochten sie erst, um sie dem voellig ueberforderten Esser auch live unter die Nase zu halten. Allein schon diese Tatsache und der reichliche Wein und Caipirinhagenuss machten den Abend von Beginn an ueberaus gesellig und es wurde reichlich gelacht, gescherzt und konsumiert. Wie viele Langusten wurden an diesem Abend verzehrt und wer ist der Rekordhalter (Tipp: ich war es nicht!)? Daran konnte sich am naechsten Tag niemand mehr so wirklich erinnern.

Jedoch erinnerte mich am naechsten Vormittag, nach einer Nacht voller wilder Traeume, eine SMS auf meinem Handydisplay an das absolute Sahnehaeubchen des Vorabends: "Und? Gehen wir noch in eine Disko? Vergiss nicht, ich kann zaubern, was glaubst du, wie mir die Frauen deshalb zu Fuessen liegen? Melde dich." Was war geschehen? Waehrend die Glaeser im OK an unserem Tisch am Vorabend langsam immer wieder voll und leer wurden, hatte sich doch tatsaechlich ein etwas falscher Kellner unter die wuetigen Essensbringer gemischt! Dieses schelmige Gesicht war uns von Anfang an verdaechtig, soweit man es denn noch einzeln sah (okay, das war jetzt uebertrieben). Und als er dann anfing, seine Spielkarten zu zuecken, gab es kein Halten mehr. Ein Magier im Restaurant, der die Gaeste vorfuehrt – was fuer eine super Idee. Er trieb so manchen Scherz mit unserer Gruppe, ploetzlich war Ludwigs Uhr an Kirstins Handgelenk, „Kurti“ verhalfen auch gezinkte Karten nicht zur tieferen Erkenntnis, der Zauberer spuckte wie wild Karten durch die Luft, die wir vorher bemalten und ihm augenblicklich vorher in die Hand drueckten, goss mit verbundenen Augen mit einem Meter Abstand Schnaepse in unsere Muender und vieles mehr. Ein wahres Highlight an Entertaining. Nun gut, gegen Ende des Abends hatte er leichtes Spiel und wie die SMS zeigt, haette er es doch tatsaechlich noch fast geschafft, uns noch zu einer langen Nacht in Sao Paulo zu ueberreden.

In jedem Fall war dies ein Abend, an den ich genuesslich und mit Freude zurueck denken werde. Eine Mischung aus Zaubershow, Esswettbewerb und Winzerfest, wer hatte das schon erlebt?

Am naechsten Tag stiegen wir somit voller Frohsinn und guter Laune in den Flieger zurueck nach Bahia, die Vorsaetze waren nicht gerade gering und ein mulmiges Gefuehl machte sich in uns breit, als wir zur Landung ansetzten. Schliesslich mussten wir, egal wie das Resultat ausfallen sollte, so manchen ziemlich vor den Kopf stossen und das ist eigentlich nicht unser beider Spezialitaet. Vielleicht auch deswegen liessen wir uns vom Flughafentaxi direkt ins Nachbardorf zu unseren Freunden fahren, mitsamt den Koffern und einigen Reisestunden im Gemuet, anstatt sobald als moeglich in Terra Mirim einzuchecken. Das fanden die Verantwortlichen, wie wir am naechsten Tag erfahren sollten, gar nicht lustig, hatten sie doch den Taxifahrer - "ausser sich vor Sorge" - angerufen (nicht etwa uns), um sich zu informieren, was wir an diesem Sonntagabend so trieben. Die Vorzeichen hatten sich dadurch nicht verbessert, im Gegenteil, aber gemeinsam sollten wir die Sache irgendwie bewaeltigen, da waren wir uns sicher.

Teil 1: Zwischen Tucanen, Strandparadies und Krokodilen
Teil 2: Wo Licht ist, ist auch Schatten
Teil 3: Metropolis
Teil 4: Wochen des Wandels?

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